Mit 100 000 an der Mauer Party gefeiert W. Schnabel

 

Fotos und Text:  Klaus Händel.  In der Nacht vom 9. auf den 10. November 1989 ist die Mauer gefallen. Wilfried Schnabel, heute Studiendirektor am Niedersächsischen Internatsgymnasium Esens, aufgewachsen im Heidekreis in der Nähe von Walsrode, war damals 22 Jahre alt. „Die Vorgeschichte zum Mauerfall habe ich in den Medien verfolgt. Als dann die Mauer fiel, bin ich mit Freunden nach Lauenburg gefahren, um die Trabi-Kolonnen anzuschauen.“ Spontan hat Wilfried Schnabel beschlossen, mit seinen fünf Freunden Silvester in Berlin zu feiern. „Wir haben mit Hunderttausenden Party gemacht.“

Für den heutigen Geschichts- und Deutschlehrer war Berlin schon immer eine besondere Stadt: zum Austausch, im Sport und in der Bildung. „Grenzbesuche der widernatürlichen Teilung waren damals obligatorisch, das Grenzerlebnis berührend und einschneidend“, so Schnabel. „Sich der Trennung bewusst zu werden, war auch aus westlicher Sicht ein besonderes Erlebnis.“

Die ersten Vorzeichen, dass sich das damals ändern sollte, haben Neugier und Hoffnung geweckt. „Mein Wunsch war es, dass diese Grenze verschwindet“, so Schnabel. Erst mit den Besuchen der Grenze um den Mauerfall habe er festgestellt, dass es große Unterschiede in den Köpfen der Menschen in Ost und West gegeben hat. „Wir im Westen kannten den Osten eigentlich gar nicht. Wir sind in West-Mentalität an die Grenze gefahren. Dass das DDR-Regime und die Zustände die Menschen im Osten ganz anders geprägt haben, ist mir erst durch die Besuche richtig bewusst geworden.“

Die damaligen Freunde haben ein anderes Land besucht, mit Neugier und mit dem westlichen Verständnis im naiven Glauben, es und die Menschen zu kennen. „Ich habe den Mangel festgestellt, ohne über die Hintergründe Bescheid zu wissen.“ Das bezeichnet Schnabel aus heutiger Sicht als „jugendliche Systemarroganz“. „Trotz des vordergründigen Ziels, eigentlich nur eine gigantische Silvester-Party mitfeiern zu wollen, wir haben John Lennon gehört, ,Give Piece a Chance‘, haben sich Erwartungen und Vergleiche ergeben. Alles im Osten war düster und grau und wurde mit westlicher Überheblichkeit bewertet“, so der spätere Historiker. Daraus erwuchs für ihn die Hoffnung, beide Systeme und die Menschen mögen zusammenwachsen.

Nach weiteren Besuchen sagt Wilfried Schnabel 30 Jahre später: „Die gemeinsame Hoffnung hat uns vereint, aber heutige Diskussionen über Ost und West sorgen für eine erneute Trennung, die das gemeinsam Erreichte aus dem Blick geraten lässt.“

Die aktuellen Diskussionen seien für den Historiker sehr „irritierend“. Berichtet – auch in der Politik – werde heute fast ausschließlich über Negatives im Osten, was den dort lebenden Menschen nicht gerecht werde und sie erneut abtrenne. „Das Positive in der gemeinsamen Entwicklung wird ausgeklammert. Das halte ich in der Meinungsbildung für unausgewogen und gefährlich.“

Wünschenswert wäre, so Wilfried Schnabel, gemeinsame Perspektiven in den Vordergrund zu rücken, anstatt immer wieder das Trennende zu wiederholen oder im Trennenden zu erstarren.

Nach einem Artikel des Anzeiger für Harlingerland vom 9.11.20119

 

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