Von Provokationen, Propaganda und einem Kirchenraub in Esens

Besuch des Seminarfachs „Ahnenforschung“ im Niedersächsischen Landesarchiv Aurich

Immer noch leuchtend – wie frisch gemalt – präsentieren sich der Kaiser und seine sieben Kurfürsten auf der Ausfertigung des Wappenschildes für den ostfriesischen Adel aus dem Jahr 1678. Die Verleihung eines Wappen an die ostfriesischen Landstände durch Kaiser Leopold I. blieb ein einmaliger Vorgang im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation. Die ostfriesischen Landstände (Ritterschaft, Stadtvertreter und Bauernschaft) waren und blieben die einzige politische Vertretung mit diesem Recht.

Abbildung 1: Lana Böning zeigt eine Aktenseite von 1716, die Informationen über einen Kirchenraub in Esens aus dem Jahr 1716 enthält.

Diese historische Besonderheit und noch weitere wichtige Quellen ostfriesischer Geschichte, die im Landesarchiv eingelagert sind, präsentierte die stellvertretende Leiterin des Niedersächsischen Landesarchivs in Aurich, Kirsten Hoffmann, interessierten Schülerinnen und Schülern des Seminarfaches „Ahnenforschung“, die die Arbeit dieser Behörde kennenlernen und auch in eigener Sache während des aktuellen Forschungssemesters recherchieren wollten.

Eine weitere Quelle der ostfriesischen Geschichte, die präsentiert wurde, war auch die Chronik von Eggerik Benninga aus Grimersum, dem „Propagandisten der friesischen Freiheit“, der durchaus seinen Anteil an der mentalitätsgeschichtlichen Vorbereitung hatte, die schließlich zu der einmaligen Wappenverleihung an die selbstbewussten ostfriesischen Landstände führte. Im 16. Jahrhundert schrieb Benninga auf Niederdeutsch mit seiner Chronik der (ost)-friesischen Geschichte, die erste Landesgeschichte dieser Region und betont darin stolz die besondere Eigenständigkeit der (Ost)-friesen.

Und während die Wappenverleihung von 1678 ob dieser Provokation zum Verdruss beim damaligen Landesherren führte, präsentierte sich gleich neben dieser Urkunde eine ältere aus dem Jahre 1464, an dem das große Kaisersiegel Friedrichs III. befestigt ist und die den Junker Ulrich Cirksena, einen der ostfriesischen Häuptlinge, überhaupt erst zu einem Landesherren machte, nämlich zum ersten Reichsgrafen in Ostfriesland –„von der Westeremse osterwards biss an die Weser“.

Neben einem Vortrag zur Arbeit, der Funktion und Aufbau eines Archivs bekamen die Schülerinnen und Schüler noch eine Magazinführung und erhielten Informationen über die Lagerung und Art von Archivgut.

Daran anschließend hatten die Seminarfachteilnehmer/innen Zeit, eigene Archivalien, die sie für Recherchezwecke für die eigene Familienforschung bestellt hatten, einzusehen oder aber – sofern es kein Archivgut mit Familienbezug gab – von Kirsten Hoffmann ausgewählte Archivalien zur Einsicht zu bekommen, die einen örtlichen Bezug für die Schülerinnen und Schüler hatten. Diese waren vielfältig: So gab es neben Quellen aus der NS-Zeit, Entnazifizierungsakten und Arbeitsverträgen von Vertriebenen auch eine Akte aus dem Jahr 1716, die über den Kirchenraub zweier Klingelbeutel und eines Altartuches in Esens berichtet und in der Vermutungen zur Täterschaft angestellt werden. Auch konnte eine Schülerin etwas über die Schenkung eines Kapitals von 1.000 Talern an den Badeknecht Janssen auf Norderney erfahren, zum Dank für die Errettung des Hannoverschen Kronprinzen Ernst August aus Lebensgefahr.

An dieser Stelle noch einmal Danke an Kirsten Hoffmann, die diesen gelungenen Einblick in die Archivarbeit ermöglichte und den Teilnehmer/innen die historische Vielfalt des Archivguts veranschaulichte.

Infos über einige der oben genannten Urkunden finden sich unter: https://ndslandesarchiv.pageflow.io/ostfriesland#ii-grafen-und-landstaende (aufgerufen am 01.06.2023)

Text und Bilder: Wilfried Schnabel