Küstenkinder auf der Spur von Klimawandel und Medien
Der Klimawandel – viel beschworen, viel diskutiert. Bei unserem Newscamp 2024 im Klimahaus in Bremerhaven ging es um ganz konkrete Ängste junger Menschen: Ihre Heimat könnte verschwinden.
Bremerhaven/Ostfriesland – „Ich finde die Vorstellung schrecklich, dass es bald keine Eisbären mehr geben könnte“, erzählt die 14-jährige Jette Gronewold. Sie ist Schülerin am Niedersächsischen Internatsgymnasium in Esens. Direkt vor ihrer Haustür liegen die Nordsee und die ostfriesischen Inseln. Dort ist der Klimawandel jedes Jahr stärker spürbar, weil Sturmfluten die Strände wegspülen. Auch Amelie Blumhoff und Ida Schild gehen auf das Internatsgymnasium. Heute sind sie in Bremerhaven im Klimahaus zu Gast. Sie nehmen wie Jette Gronewold am Newscamp teil. Organisiert haben dies die Ostfriesen-Zeitung, Nordsee-Zeitung, Kreiszeitung Wesermarsch und Deutsche Presse-Agentur. Zusammen arbeiten diese vier in dem Projekt „Zukunft Nordsee“. Das Newscamp hat das Ziel, Jugendliche mit dem Thema Klimawandel und der Berichterstattung in den Medien zu konfrontieren und sie in die Rolle des Journalisten schlüpfen zu lassen.
Die Schülerinnen und Schüler im Alter von 14 bis 18 Jahren arbeiten in drei Gruppen: MediaLab, FaktFake und RealTalk. Im MediaLab können die Jugendlichen selbst Videos mit dem Handy produzieren. Bei FaktFake lernen sie, wie man falsche Nachrichten von echten Inhalten unterscheidet. In der RealTalk-Gruppe wird eine Podiumsdiskussion vorbereitet.
Instagram-Reel zum Aussterben von Tieren
Jette Gronewold, Amelie Blumhoff und Ida Schild ergreifen die Chance im MediaLab. Hier drehen sie ihr eigenes Video zum Thema Artensterben durch den Klimawandel. „Ich hab Angst, dass coole Tiere wie Eisbären oder Löwen aussterben“, steht auf einem Regiezettel. Gemeinsam produzieren die drei in der Ausstellung des Klimahauses ein Instagram Reel. Die eindringliche Botschaft in 75 Sekunden: Durch den Klimawandel werden 30 Prozent der wild lebenden Pflanzen und Tiere verloren gehen.
Schüler sind sicher im Erkennen von Fake News
Im Workshop FaktFake beschäftigen sich die Schüler mit der Frage: Was macht guten Journalismus aus und woran erkenne ich Fake News? Der wichtigste Tipp, den die Schüler von Claus Hock bekommen: Habe ein gesundes Misstrauen gegenüber allem, was du liest, hörst und siehst, und glaube nicht alles. Stina Behrens und ihre Mitschülerinnen reklamieren das, was der Redakteur der Ostfriesen-Zeitung rät, schon für sich. Auch Sanne Clapham gibt sich selbstbewusst: „Wir sind nicht besonders anfällig für Fake News. Wir sind dafür sehr sensibel.“
Das zu behaupten, ist erst mal leicht, aber beim „Faktencheck“ von Videos und Bildern schneiden sie gut ab. Die Aufgabe, zu erkennen, ob Nachrichten, Bilder und Videos echt oder gefälscht sind, meistern sie ohne Probleme. Die Wahrheit zu recherchieren, ist für sie ebenfalls keine große Schwierigkeit.
Schüler verbinden mit dem Klimawandel Ängste und Sorgen
Ein Raum weiter erarbeiten in der RealTalk-Gruppe andere der 37 Schüler journalistische Fragen zum Klimawandel, um diese Experten zu stellen. Eine davon ist die Klimapsychologin Jutta Eilers aus Bremen. Sie ist Mitglied bei „Psychologists for Future“. Klimapsychologen beschäftigen sich nicht zuletzt mit der Frage, wie die Menschen die Klimakrise wahrnehmen. Oft ist die Wahrnehmung angstgetrieben. So auch bei den Schülerinnen und Schülern. Wo sonst der Klimawandel im globalen Maßstab diskutiert wird, wird es hier sehr konkret. „Im schlimmsten Fall bedeutet der Klimawandel für mich den Verlust meiner Heimat“, sagt Fabian Backenhaus, der vor der Kamera offen zu seinen Ängsten steht. „Ich hoffe, dass mein Zuhause nicht überflutet wird“ und „Ich habe Angst vor Stürmen und Fluten, die durch den Klimawandel schlimmer werden“, äußern andere Schüler aus Esens und Nordenham.
Denn, dass die Zukunft der Menschen an der Nordseeküste alles andere als gesichert ist, zeigen die Berechnungen zum Klimawandel. Auf Karten kann man hier sehen, wie weit das Meer vordringen wird, wenn die Berechnungen der Klimawissenschaftler wahr werden.
Jutta Eilers kann die Ängste nicht nehmen. Ein Mittel, sich ihnen zu stellen, hat sie aber: mehr Utopien zu wagen und sich vorzustellen, was denn anders und damit besser sein kann. Sie richtet den Blick auf den Alltag. Dass Städte versiegelt sind, trage zum Klimawandel bei. Sich vorzustellen, Marktplätze mit Bäumen zu begrünen, sei ein Schritt, konkret etwas gegen die eigene Ohnmacht zu tun.
Schülerin zweifelt unser Wirtschaftssystem an
Doch dann wird es plötzlich in der von den Schülern moderierten Podiumsdiskussion sehr grundsätzlich, als es um die Ursachen des Klimawandels geht. „Ich denke, dass der Kapitalismus kein System ist, mit dem wir in Zukunft leben können. Der Mensch ist ein Gemeinschaftswesen.
Wir brauchen eine Planwirtschaft.“ Charlotte Vollmer aus Esens sucht die Kontroverse. Die 14-Jährige ist es gewohnt, mit Worten zu streiten. Denn sie ist Mitglied in einem Debattierklub. Die Schülerin findet, dass der wirtschaftliche Wettbewerb dazu geführt hat, dass es einigen wenigen Menschen gut gehe, während es vielen Menschen schlecht gehe. Ungerechtigkeit, die gleichzeitig das Klima schädige. Die anwesenden Psychologen holen das Thema dann wieder ins konkrete Tun. Statt den Blick nur auf das Große, das schwer Erreichbare zu richten, könne man auf seine eigene Selbstwirksamkeit schauen und durch konkretes Tun im Alltag die eigene Ohnmacht besiegen. Andererseits helfe auch mehr Mut zum Träumen.
Dieser Artikel ist zuerst erschienen in der OstfriesenZeitung vom 29.09.2024
Text: Anna Böker und Isabell Wenzel